Claudia Badertsche/ SRF
Dienstag, 06.03.2018, 20:10 UhrAktualisiert um 22:41 Uhr
- Die Suva zählt bisher mehr als 2000 Asbest-Tote.
- Doch auch heute ist der Umgang in der Schweiz oft noch fahrlässig: Die Suva musste allein letztes Jahr 83 Baustellen per sofort stoppen.
- Arbeiter in Einsiedeln berichten von einem neuen Fall: Sie sind sich sicher, die Fasern eingeatmet zu haben.
Asbest: Das Baumaterial hat eine der grössten Industrie-Katastrophen der Schweiz ausgelöst. Mehr als 2000 Asbest-Tote hat die Suva bisher gezählt, die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Asbest galt einst als Wunderfaser. Doch inzwischen ist das Material in der höchsten Giftklasse gelistet und seit 1990 verboten.
Das Problem mit den Altlasten bleibt ungelöst
Nicht gelöst ist allerdings das Problem mit den Altlasten. In den meisten Häusern, die vor 1990 gebaut oder renoviert wurden, steckt asbesthaltiges Material – in unterschiedlichem Ausmass. Und diese Häuser kommen nun alle in die Jahre, werden abgerissen oder umgebaut. Findet sich dabei asbesthaltiges Material, ist grösste Vorsicht geboten.
Doch immer wieder wird damit in der Schweiz fahrlässig umgegangen – trotz Wissen um die Gefährlichkeit. Das zeigen Recherchen von «10vor10».
Die Schweizerische Unfallversicherung Suva – für die Kontrollen zuständig – muss immer wieder Baustellen per sofort stoppen, weil «trotz des Verdachts auf das Vorhandensein asbesthaltiger Materialien» die sogenannte Ermittlungspflicht nicht durchgeführt wurde.
So musste die Suva letztes Jahr in 83 Fällen gar eine «sofortige Einstellung der Arbeiten» verfügen. Der Betrieb muss dann den Verdacht ausräumen und Schutzmassnahmen umsetzen. Weitergearbeitet werden darf erst danach.
Doch Gefahr droht auch bei der Entsorgung. Nun berichten Arbeiter in Einsiedeln von einem neuen Fall. Sie sind sich sicher, die hochgiftigen Fasern eingeatmet zu haben – und befürchten nun, tödlich zu erkranken. Die drei berichten übereinstimmend: Sie hätten immer wieder ohne Schutz mit altem Eternit arbeiten müssen. Eternit, das älter ist als 1990, enthält meist Asbest.
Arbeiter berichten: Wir haben Asbest-Fasern eingeatmet
So lange sie festgebunden sind, sind die Fasern unbedenklich. Für die Bewohner der Häuser besteht darum keine Gefahr. Doch werden die Fasern freigesetzt und eingeatmet, können sie tödliche Krankheiten wie Lungenkrebs und Brustfellkrebs – das Mesotheliom – auslösen.
Der Bund schreibt für das Arbeiten mit asbesthaltigem Eternit vor: «Mechanische Einwirkungen wie Fräsen, Bohren oder Zerbrechen sind zu vermeiden.» Denn dabei werden potenziell viele der gefährlichen Fasern freigesetzt. Im Umgang mit asbesthaltigem Material ist Atemschutz obligatorisch, je nach den Umständen auch Spezialschutzkleidung. Zuständig für die Ermittlung der Risiken ist der Arbeitgeber.
Die drei Männer arbeiteten im Entsorgungs-Center «Schädler Mulden AG» in Einsiedeln im Kanton Schwyz. Zum Beispiel mit altem Well-Eternit oder den sogenannten «Stromer-Tableaus». Einer der Arbeiter erzählt: «Das Well-Eternit wurde palettiert angeliefert. Wenn es alt war, war es mooshaltig und brüchig – und wenn man es berührt hat, ist es zerbröselt.»
Solches Material sei ohne Vorwarnung nahe der Arbeiter gekippt worden. Danach habe einer es mit einem Stapler in eine Mulde werfen müssen. Und: «Dann mussten wir es noch mit dem Bagger zerstossen und zerkleinern – wobei sich regelmässig Staub entwickelte». Die Arbeiter sagen, sie hätten von einer Ladung eine Probe genommen und eingeschickt. Das Labor-Ergebnis legen sie «10vor10» vor. Es zeigt: Die Probe enthielt festgebundenes Asbest.
«In der heutigen Zeit ein absoluter Skandal»
Atemschutz habe man auch bei der Arbeit mit alten Elektro-Tableaus aus Eternit nicht getragen. Sind diese asbesthaltig, dürften sie nur von Suva-anerkannten Asbestsanierungsunternehmen zerlegt werde. Alte Tableaus seien von Elektrikern zwar korrekt staubdicht verpackt angeliefert worden. Aber: «Diese Säcke mussten wir dann aufschneiden, um die Tableaus auseinanderzunehmen».
Für Karl Klingler, Mitgründer der Vereinigung für Asbestopfer und Angehörige und Lungenarzt an der Zürcher Hirslanden-Klinik, ist das verantwortungslos: «Das ist natürlich in der heutigen Zeit ein absoluter Skandal. Man müsste eigentlich meinen, dass man aus der Vergangenheit etwas gelernt hat.»
Beim Kippen von Eternit entstehe keine Staubwolke
Die «Schädler Mulden AG» nimmt schriftlich Stellung: «Anlieferungen von Eternit sind selten (im Durchschnitt wohl weniger als einmal monatlich).» Wie alt der Eternit war, sei unklar. Es sei möglich, dass dieses Asbest enthalten habe. «Nicht zutreffend ist aber, dass beim Kippen von Eternit eine Staubwolke entsteht. Ausserdem ist darauf hinzuweisen, dass wir über eine Berieselungsanlage verfügen. Wenn sich daher Staub bildet, ist es in der Verantwortung der Mitarbeiter, diese Anlage in Betrieb zu nehmen.» Und: «Uns ist völlig unbekannt, ob, wann, von wem und wo Proben genommen worden sind.»
Elektro-Tableaus seien zudem nicht demontiert, sondern ohne weitere Verarbeitung weitergeleitet worden. Weiter schreibt die Firma: «Wir wurden von den Mitarbeitern zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass weitere Schutzbekleidung oder Atemmasken benötigt werden, sonst hätten wir diese selbstverständlich umgehend abgegeben.»
David Husmann, Anwalt der Arbeiter und Präsident des Vereins für Asbestopfer und Angehörige, sagt, da sei die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verletzt worden. Er prüft jetzt auch strafrechtliche Schritte.
Ein
gutes Geschäft mit einem schalen Beigeschmack: Die SBB hat 25
sanierungsbedürftige Reisezugwagen nach Tschechien verkauft. Eine
Million Franken hat sie dafür kassiert. Und dazu hat sie sich auch noch
eines Problems entledigen können: Die Wagen enthielten nämlich Asbest.
Die
Freude über den gelungenen Deal ist SBB-intern unverkennbar. Dies zeigt
auch ein Tweet, der dazu von einem Mitarbeiter abgesetzt wurde: «SBB
hat Kleinstserie an asbestbelasteten Fahrzeugen verkaufen können. Gut
so.»
«SBB nimmt Verantwortung ernst»
Die SBB setzt sich
damit dem Verdacht aus, ein unangenehmes Problem einfach «exportiert» zu
haben. Davon will die Bahn allerdings nichts wissen. Im Gegenteil: «Die
SBB nimmt die Verantwortung bezüglich Asbest sehr ernst. Das haben
bisherige Entsorgungen und Sanierungen gezeigt», teilte die Medienstelle
auf Anfrage mit.
«Es handelt sich - wie bereits im Juli 2016
mitgeteilt - um gebundenes Asbest in kleinen Mengen, das nur bei
Schleifarbeiten, wie sie zum Beispiel bei Rostsanierungen durchgeführt
werden, gelöst werden kann. Es besteht und bestand nie eine Gefahr für
Fahrgäste», schreibt die SBB.
Unbemerkt Medienmitteilung verschickt
Dass
die SBB ausgerechnet in den Sommerferien über den Deal mit der
tschechischen Bahn RegioJet informiert hat, ist nur einem kleinen Kreis
bekannt. Denn die besagte Medienmitteilung mit dem Titel «SBB verkauft
25 sanierungsbedürftige Wagen an die tschechische Bahn RegioJet» wurde
nur an die Fachpresse versandt - vom Grossteil der Medienschaffenden
unbemerkt.
Selbst der Schweizerische Eisenbahn- und
Verkehrspersonal-Verband (SEV) hat nichts davon gewusst. «Der konkrete
Fall ist uns nicht bekannt gewesen», sagte Manuel Avallone,
SEV-Vizepräsident und zuständig für die SBB, von der Nachrichtenagentur
sda mit dem Verkaufsgeschäft konfrontiert.
SEV: «Moralisch verwerflich»
«Der
Deal dürfte wohl juristisch korrekt abgelaufen sein», sagte Avallone.
«Moralisch ist es aber sicher verwerflich, wenn die asbestbelasteten
Wagen einfach ins Ausland verkauft werden.» Da stellten sich doch
ethische und moralische Fragen.
Für den SEV-Vizepräsidenten ist
dieser Sachverhalt umso erstaunlicher, als die SBB in ihrem Umgang mit
dem Asbestproblem sonst vorbildlich handle. So werde die Gewerkschaft
immer sofort orientiert, wenn irgendwo Asbest gefunden werde.
Anschliessend würden sofort alle notwendigen Schutzmassnahmen getroffen.
Es gebe eine ganze Reihe von genau festgelegten Prozessen, wie damit
umgegangen werden müsse und wie die anschliessende Sanierung ablaufe.
Tatsächlich
hat die SBB bis ins Jahr 2010 das gesamte Rollmaterial systematisch
asbestsaniert oder asbesthaltiges Rollmaterial gezielt verschrottet. Die
SBB hätte die 25 verkauften Wagen übrigens ohnehin ausrangiert,
schreibt die Bahn. Zwar nicht wegen der Asbestspuren, sondern weil sie
im Betrieb sehr teuer, eine Sanierung vor allem aufgrund des Rostbefalls
sehr aufwendig gewesen wäre und es sich um eine Kleinstflotte gehandelt
habe.
SBB hat sich abgesichert
Immerhin hat sich die SBB
auch im Fall des Tschechien-Deals rückversichert. Der Verkauf sei
vorgängig sorgfältig mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) und dem
Bundesamt für Gesundheit (BAG) abgeklärt worden, heisst es.
Das
BAFU habe nach Prüfung eines Antrages der SBB und der eingereichten
Dokumentation am 13. Juni 2016 die Bewilligung für die Ausfuhr von 25
Bahnwagen erteilt, die kleine Mengen von gebundenem Asbest enthielten,
hiess es beim Bundesamt.
Auflagen seien keine verfügt worden, da
die vorgesehenen Massnahmen der SBB zur Sicherstellung der korrekten
Sanierung und Entsorgung als ausreichend beurteilt worden seien. Der
Verkauf und Export von asbesthaltigen Gegenständen darf übrigens nur
erfolgen, wenn eine solche Ausnahmebewilligung erteilt wird.
Auch
vertraglich hat sich die SBB abgesichert. Im Kaufvertrag habe sich die
neue Besitzerin RegioJet verpflichtet, die Fahrzeuge in einem von der EU
anerkannten Betrieb asbestsanieren zu lassen und dies der SBB und dem
BAFU zu melden.
Für SEV-Vizepräsident Avallone ist dies nur
schwer nachvollziehbar. Denn die SBB selber wisse am besten, wie man mit
dem Problem umgehe. Sie hätte die Wagen auch selber sanieren können.
Die tschechische Bahn werde die vereinbarte Asbestsanierung wohl auch
durchführen. «Aber unter welchen Bedingungen? Das ist die entscheidende
Frage.»
(sda/ccr)
Veröffentlicht
24.10.2016, Bilanz Unternehmen
In der Schweiz sind immer wieder Asbestsanierungen nötig. Auch Gebäude des Kantons waren mehrfach betroffen. Nun stehen die Verantwortlichen in der Kantonshauptstadt Frauenfeld aber vor einem noch nie da gewesenen Fall.
35 000 Bilder, Textilien und weitere historische Objekte müssen gereinigt werden, weil sich darauf krebserregende Fasern befinden können. «Eine derart spezielle Asbestsanierung hat es in der Schweiz wahrscheinlich noch nie gegeben», sagte der Thurgauer Kantonsbaumeister Erol Doguoglu der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Weil die Sammelstücke beschädigt werden könnten, muss für jedes Objekt einzeln überlegt werden, wie es gereinigt werden kann. Deshalb seien Restauratoren und Asbestspezialisten beauftragt worden, ein Reinigungs-Konzept zu erstellen. Dieses wird im Auftrag der Hauseigentümerin und in engem Austausch mit dem Kanton ausgearbeitet und soll im Herbst vorliegen.
Noch unklar, wieviel die Reinigung kostet
«Da es zu aufwendig wäre, jedes einzelne Stück auf Asbestfasern zu testen, müssen wahrscheinlich sämtliche Exponate gereinigt werden», sagte Doguoglu. Wieviel die Reinigungs-Prozedur kosten wird, ist unklar. «Über die Kosten kann im Moment nur spekuliert werden. Wir müssen zuerst die Erkenntnisse der Fachspezialisten abwarten», sagte der Kantonsbaumeister.
Zur Zeit laufen Verhandlungen darüber, wer die Kosten für die Asbestsanierung tragen wird. Weitere Angaben dazu wollte der Projektleiter nicht machen. Der Kanton werde sich aber dafür einsetzen, dass nicht die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden, sagte Doguoglu.
Gefahr für Mitarbeiter
Der Asbest war bei Sanierungsarbeiten im vergangenen Februar entdeckt worden. Das betroffene Gebäude in Frauenfeld wurde umgehend vorsorglich geräumt. Die Arbeitsplätze des Amtes für Umwelt, der Polizei und des Historischen Museums wurden in den Frauenfelder Nachbarort Felben verlegt.
Zuerst hatte der Kanton mitgeteilt, dass für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine gesundheitliche Gefährdung bestehe. Nach weiteren Befunden korrigierte der Kanton diese Aussage jedoch. Zwar werde das Gesundheitsrisiko aus arbeitsmedizinischer Sicht als relativ gering eingestuft.
Bei einzelnen Personen, die über längere Zeit in den Untergeschossen der Liegenschaft in Archiven und Depots gearbeitet hätten, könne eine gesundheitliche Gefährdung nicht mehr vollständig ausgeschlossen werden.
Da eine Erkrankung meist erst Jahrzehnte nach dem Kontakt mit Asbest-Fasern auftritt, würden betroffene Mitarbeiter auf ihren Wunsch vorsorglich bei der Suva angemeldet, sagte Doguoglu. Die Suva führe eine entsprechende Datenbank, auf welche bei einer späteren Erkrankung zurückgegriffen werden könne. Wenn ein Zusammenhang zu einer Erkrankung bestehe, übernehme die Suva die Kosten.
Tödliche Folgen
Bis eine asbestbedingte Krankheit ausbricht, kann es gemäss dem Forum Asbest Schweiz bis zu 45 Jahre dauern. Viele Betroffene leiden an einem bösartigen Tumor im Brust- oder Bauchfellbereich (Mesotheliom). Die Tumore entstehen durch das Einatmen von Asbestfasern.
Wie viele Todesfälle in der Schweiz zu Lasten von Asbest gehen, sei unbekannt, sagte der Asbest-Experte Stephan Baumann, der unter anderem den Kanton Thurgau berät. An einem Mesotheliom sterben laut dem Bundesamt für Statistik pro Jahr rund 120 Personen.
Asbest wurde ab 1900 breit in Industrie und Technik verwendet. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die mineralischen Fasern dank ihrer einzigartigen Eigenschaften einen Boom. Dieser dauerte bis Mitte der 1980er Jahre. Die meisten Asbestanwendungen wurden in der Schweiz ab März 1990 verboten.
Veröffentlicht: 10.9.2018, 10:16 Uhr, Neue Zürcher Zeitung